2004-12-15 - 6. Leipziger Medizinerkonzert - WENN AM FLÜGEL OPERIERT WIRD

Studenten der medizinischen Fakultät musizieren in Leipzigs Alter Handelsbörse
Der Schaffensprozess, die Phase des Komponierens kann zur Krankheit ausarten. Schlaflosigkeit, Fressanfälle oder nachlassender Appetit. Chronische Gereiztheit. Verspannungen. Fieber. Ist das Werk dann endlich "ausgeschwitzt", darf man sich freün, es professionell betreut und gepflegt zu Gehör zu bekommen. Zum Beispiel durch Medizinstudenten Leipzigs. Mit heiterem Charme führte Maria Arélin das Publikum durch den Abend: Chopin habe nicht nur die Damenwelt der Pariser Salons reihenweise in Ohnmacht stürzen lassen. Zuweilen hätte der an Tuberkolose Erkrankte es ihnen gleich getan. Über jede Ohnmacht erhaben war dagegen Jeanette Förster als Interpretin seiner Ballade in g - moll. Die Studentin ließ das Stück so naiv-neu und mit empfindsamer Kraft erklingen, als wäre es nicht eines der meistinterpretierten Werke Chopins. Das Programm erwies sich als abwechslungsreich und international: die musikalische Achse reichte von der europäischen Barockmusik und der Romantik über die russische Avantgarde der zwanziger Jahre und amerikanische Jazz-Standards bis zu lateinamerikanischer und israelischer Folklore. Eine interessante Bearbeitung von Bachs Bourré durch Yeth Rotull stellte ein instrumental bunt gemischtes Sextett vor. Mentor der Gruppe war Dr. Udo Gaunitz, Lehrender an der medizinischen Fakultät und einzig anwesender Dozent der angehenden Medizinerinnen und Mediziner. Gemeinsam mit "seinen Jungens" sandte er am Saxophon dem Publikum die lässigsten Grüße aus New Orleans zu. Zum Mitswingen und begeisterten Applaus luden auch die Standards "Fly me to the moon" und "Watermelone man" ein. Sie ließen das offensichtlich Desinteresse der übrigen Dozenten an den außeruniversitären Aktivitäten ihrer Studenten verschmerzen. Gefüllt war der Saal der Alten Handelsbörse auch so. Selbst die Fensterbretter waren am Mittwochabend zu Logenplätzen umfunktioniert wurden. Einen Beifallssturm erhielt auch Stephan Kelm. Der stellte die Musicalnummern "Mr. Zellophan" und "Weihnachten, Weihnachten steht vor der Tür" mit ernstzunehmender Komik dar. Weniger heiter, doch leidenschaftlich erklang die Musik bei Solveig Carmienke und Dominiqü Kreuter. Beide ließen ihre Gitarren von der Hitze Spaniens erzählen: viva el sol! Dies dem trüben Winter in Deutschland zum Trotz, der auch musikalisch vertreten war. Nicht nur durch die "medici cantantes", dirigiert von den tanzenden Händen Johannes Wildes. Auch nicht durch den amerikanischen Weihnachtsstandard "Rudolph, the rednosed Reindeer", vom Gesangsquartett im 50iger Jahre-Stil vorgetragen, und zum Gaudi des Publikums mit Geweih und roter Nase sehr "Rudolphianisch". Mit dem "Winter" von Schostakowitsch (vorgetragen von Josephine Rocholl, Claudia Müller und Stephan Kelm) wehte eine Ahnung von Finsternis und Kälte in den Saal, ehe der Wind wieder drehte, und der 3. Satz des Klaviertrios von Chatschaturjan nach den Steppen Asiens klang. Mit Sergej Prokofjevs "Ouvertüre über hebräische Themen" wurde ein weiterer russischer Landsmann vorgestellt. Immer dabei Christian Girbardt, der am Klavier den musikalischen Grundton angab. Zum "Danse espagnole" von Manül de Falla spielte er gemeinsam mit Maria Arélin auf. Da musizierten zwei mit konzentrierter Nonchalance und musikalischer Vertrautheit und führten vor, was für den Abend maßgebend war: ein Musizieren in aller Bescheidenheit, unprätentiös, aber auf einem Niveau, das den Rahmen des Amateurhaften sprengte. Verbunden mit der Idee, die Pause des Konzerts dem Forum einer karitativen Einrichtung zur Verfügung zu stellen, wurde der Abend nicht nur eine Bereicherung in musikalischer, sondern auch in sozialer Hinsicht. Dass Ärzte oft auch hervorragende Musiker sind, ist seit Albert Schweitzer bekannt. Die Leipziger Probe aufs Exempel jedoch kann sich hören lassen, und immer wieder hören lassen.

Antje Hörenz (Studentin der Germanistik und Theaterwissenschaft im 4. Semester)